Der Poller vom P-Berg: Draußen nur Kännchen oder warum wir zurückbrüllen müssen
Diese Kinderwagen-Debatte im Prenzlauer Berg hat mich offensichtlich beschäftigt. Erster Gedanke beim Aufstehen: Poller. Zweiter Gedanke: Ein Café, das ausschließlich schwarzen Kaffee serviert?! Ich trinke literweise schwarzen Kaffee, wenn ich es eilig habe im Büro, auf schlecht organisierten Konferenzen und nachts auf Provinzbahnhöfen. In meiner Freizeit: hell no! Erste Einsicht: Büros, schlecht organisierte Konferenzen und nächtliche Provinzbahnhöfe sind kinderlose Orte, ergo das schwarzer Kaffee-Café ist ein kinderloser Ort. Appell: Väter und Mütter bewahrt Eure Kinder vor Menschen, die prätentiös genug sind Kaffeetrinken zur Teezeremonie umzugestalten. Dritter Gedanke: Was dieser Poller für Wellen schlägt! Ich habe davon gestern in einer Schweizer Zeitung gelesen. Ich wünschte es gäbe in Zürich so viele Kindercafés wie in Berlin. Wenn es so viele schöne Orte zum hingehen gibt, ist es den Ärger überhaupt wert? Vierter Gedanke: Hinter den Online-Artikeln sind zu viele ätzende Kommentare: „Poller um die Innenstädte“. Ist das wirklich so, dass Menschen ohne Kinder prinzipiell finden, Kinder stören überall, wo sie sichtbar und hörbar sind? Haben Eltern denn wirklich kein Verständnis dafür, wenn Menschen es mal leise brauchen? Der Poller brüllt: „Ja! – Ende der Diskussion!“ So brüllt doch nur einer, den das Kind schon beim Gedanken daran nervt! Der Café-Besitzer sagt übrigens, er hat gar nichts gegen Kinder, nur gegen die Eltern, die die Kinder nicht beaufsichtigen. Stimmt, das sagt man jetzt so. Ist mir auch schon passiert, aber da hatte ich noch kein Kind.
Ganz anderer Gedanke: Neulich habe ich einen Beitrag auf Deutschland-Radio gehört, in dem es auch um unzulängliche Eltern ging. Der Autor hatte einen Vater beobachtet, der seinen Sohn alle Nas’ lang vor neue Entscheidungen gestellt hat „Willst Du lieber Eis oder Piraten spielen?“ und konnte mit Hilfe von Immanuel Kant nachweisen, dass dieser Vater seinem Sohn keinen Gefallen tat. Auch diese Beobachtung war nicht neu und so oder ähnlich regelmässig in Zeitungen zu lesen oder im Radio zu hören. Diese Eltern heutzutage erziehen ihre Kinder zu Diktatoren (oder gar nicht?), die Mütter sind meist sehr egoistisch, zumindest die in den Großstädten. Ich bin sicher, meine Mutter stimmt ihnen regelmäßig zu. Der Café-Besitzer sagt übrigens, er käme auch aus einer kinderreichen Familie, aber sie hätten sich benehmen können. Vermutlich haben wir, meine Geschwister und ich das auch gekonnt, aber wir waren nur selten in Cafés. Meine Mutter hatte keine Freundinnen zum Kaffeetrinken. Dafür hatten wir einen ziemlich perfekt geführten Haushalt, gebügelte Bettwäsche und niemals Krümel im Gesicht. Um gerecht zu sein: meine Mutter hat gearbeitet. In der Vorortwelt der 80er Jahre ein „Privileg“, das alleinerziehenden, geschiedenen und proletarischen Frauen vorbehalten war. Meine Mutter war weder noch und entsprechend misstrauisch begegneten ihr die Kleinstädter. Auch hier schwang der Egoismusvorwurf mit und rückblickend frage ich mich, ob die komplette Abwesenheit persönlicher Bedürfnisse, die Abwesenheit von Freundinnen, Hobbys und Schlafbedarf dem Versuch geschuldet war, diesem Vorwurf zu entgehen. Heute zumindest versetzt sie dieser Lebensentwurf in die dankbare Lage, zu fürchten, dass ihre Tochter eine egoistische Innenstadtmutter ist. Meine Bedürfnisse als Kind waren übrigens ähnlich normiert wie die meiner Mutter in der Mutterrolle. Ich frage mich, wie viele Eltern heute ihr Kind lieber fünf Mal nach seinen Wünschen fragen als zu riskieren, dass es sich ähnlich übergangen fühlt wie sie selbst in ihrem 70er/80er Jahre Idyll. Vielleicht gibt es sogar welche, die ihrem Kind nicht sofort den Mund abwischen aus stillem Protest gegen die perfekten Oberflächen ihrer Kindheit. Kann sein, dass Eltern mal in ein Café zu gehen, obwohl sie wissen, dass Kinder Spielplätze und Freibäder lustiger finden – nicht aus Protest, sondern aus Respekt vor ihrem eigenen Bedürfnis Teil des öffentlichen Raums zu bleiben und aus Respekt vor der Person hinter der Elternrolle. Und nicht zuletzt, weil sie FreundInnen haben!
Müssen deswegen alle Tortenschlacht und Gröhlkonzerte im Café hinnehmen? Finde ich überhaupt nicht, aber muss da gleich ein Betonpoller brüllen?! Was bleibt zu tun: Zurückbrüllen! Diese unversöhnlichen Poller verteidigen eine Welt der perfekten Oberflächen, eine Welt, in der Arzneimittelhersteller die Antidepressiva nach ihren Ehefrauen tauften. Spielregeln mit Eltern und deren Kindern aushandeln wollen sie nicht. Einsicht: Wer das will, hängt ein freundlich formuliertes Schild auf.
Letzter Gedanke: Draußen nur Kännchen.
Ein Gastbeitrag von GT
Hängen Sie mal im Prenzlberg ein „freundlich formuliertes Schild“ auf, dass Kinder nicht erwünscht sind!
Überhaupt: So viel Lärm um nichts. Als nahe Prenzlbergs lebende Mutter zweier Kinder war ich im ersten Moment ebenfalls entsetzt darüber. Aber warum? Der Wirt kennt die Mütter in seinem Kiez nur allzu gut. Nicht nur Kinderlose, auch Eltern, die mal ohne Nachwuchs unterwegs sind, hätten gerne mal einen Kaffee (schwarz oder nicht) in kinderfreier Umgebung. Man mag sich an dem Poller stören, ein Schild hätte noch mehr Leute (und Schreiber) auf den Plan gerufen. Meckernde Eltern sehen diesen Poller als Kriegserklärung, so ein Quatsch. Wer sich dran stört, geht eben zum Café an der nächsten Ecke, das sehe ich genauso.
schöner Text.
Ein genialer Artikel! Ich hab ihn meinen Mann zum frühstück vorgelesen und Tränen gelacht. super geschrieben und gut ausgeleuchtet.Wir gehören zu denen die ihren Kindern die Krümel im Gesicht lassen und dennoch drauf achten das im Cafe keine Kinderparty gefeiert wird. Antidepressiva nach eigener Frau benannt…ich finde den Poller ziemlich unmöglich,aber als Werbung hat es wohl funktioniert. Mit diesem Artikel hast du mich als regelmässigen Leser nun am Hacken.ich freue mich auf den nächsten Beitrag!
Sehr schöner Text, GT! Aber diese Idee mit dem Poller, hhmm…
Schönen Dank für den tollen Artikel.
Über dieses Café und die Zitate von seinem Inhaber habe ich mich sehr gestern geärgert und ich dachte dann auch, warum hat er nicht einfach ein freundliches, erklärendes Schild (es ginge ja nur um Brandschutz) aufgehängt? Hatten die Leute den Edding verlegt? Ganz abgesehen davon finde ich Milchverbot ein einem Café außerordentlich absurd. Es scheint einfach kein sehr einladender Ort sein zu wollen / sollen.
An der Kinder-sollen-sich-gefälligst-benehmen-Debatte, wie Sie sie schildern, fällt mir noch auf, dass es doch ein Widerspruch wäre, wenn die Mütter so schrecklich egoistisch wären, die Kinder aber zu DiktorInnen erzogen würden. ‚Egoistisch‘ meint vielleicht, die Mütter würden ihre Kinder nicht recht lieben, was wahrscheinlich heißt, dass es die Leute (oft Männer) unverschämt finden, wenn Mütter nicht nur Mütter sind, sondern auch Freunde haben oder ein Hobby oder gar einen Beruf. Mit anderen Worten, ich erwische mich oft dabei, dass ich mich ärgere, wenn einer Mutter das Handy wichtiger zu sein scheint, als das Kind, gleichzeitig frage ich mich aber, ob das nicht stark nach dumpfem Vorurteil riecht. Denn was weiß ich, was die Mutter die übrigen 23.5 Stunden am Tag so treibt? Wo ist im Übrigen der Vater?
Die Ingnoranz des Café-Betreibers macht mich wütend. Ich sah vor meinem geistigem Auge bereits 15 Mütter mit ihren Babys im Maxi-Cosi oder im Tragetuch den Laden stürmen. Mütter im öffentlichen Leben die nicht nur Milchmaschine sondern Mensch mit sozialen Kontakten und Interessen sein (bleiben) wollen? Wo gibt es denn sowas! Der Kommentar von Kimberra trifft es genau. Mit der Mutterschaft wird erwartet das die Frau sich aufopfert und ihre Interessen zurückstellt. Wieso redet keiner von Prenzlauer Vätern mit Kinderwagen? Richtig, die werden ja als seltene Spezies beklatscht, anstatt der Tür verwiesen.
Ich mag den Text, das Thema ist interessant. Meine Mama, früher selbst frauenbewegt, ätzt heute über die „Latte Macchiato-Mütter“ in den Cafés. Neulich schnitt sie mir, Jungmutter, sogar einen Zeitungsartikel aus, der ihre Meinung schön zur Geltung brachte. Geschrieben von einer Frau. Ich wohne selbst in einem kinderreichen Viertel, treffe andere Mutter bin vielleicht
Danke, für den Artikel. Ich habe Ähnliches und auch ganz Anderes darüber geschrieben letzte Woche. Ich bin sehr gespannt, wie sich das hier in Berlin weiter entwickelt.
Feuer für die vermeintliche Front zwischen Kinderlosen und Kinderhabern…
http://berlinmittemom.com/2012/09/27/the-barn-roastery-berlin-ein-betonpoller-fuer-kinderfeindlichkeit/
„Ich frage mich, wie viele Eltern heute ihr Kind lieber fünf Mal nach seinen Wünschen fragen als zu riskieren, dass es sich ähnlich übergangen fühlt wie sie selbst in ihrem 70er/80er Jahre Idyll.“
Mal ernsthaft: Macht ihr euren Eltern ernsthaft Vorwürfe dafür, dass ihr nicht jedes Mal heulend an der Krabbelzone der Supermarktkasse Terror machen durftet oder eure ersten Schritte Samstagsmorgens in einem vollbesetzten Großstadtkaffee üben durftet?????
Ich finde in dieser ganzen Debatte fehlt das richtige Maß. Früher war es Eltern eben klar, dass ihr Kind nicht das Zentrum der Welt ist. Heute gibt es eben Eltern, die das bewusst oder unbewusst nicht realisieren und dementsprechend oft nicht die richtigen Grenzen ziehen. Und jeder hat solche Einzelfälle natürlich schon erlebt und leitet daraus eben den Meinungsstandard „schlecht erziehende egoistische Latte Mütter“ ab.