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„Das sind nur die Schwangerschaftshormone, Liebling!“ Zur Geschichte einer biologisierten Psyche

November 22, 2019
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Es folgt ein etwas polemisches Vortragsmanuskript, angelehnt an das Buch ‚Die Gefühle der Schwangeren‚:

Schwangere werden von Hormonen beherrscht. Das sagen sie selbst und das sagen andere. Ihr Bauch wächst, ihr Appetit steigt, sie weinen, sie lieben, sie brüllen, sie sind glücklich oder werden depressiv, sie bauen ein Nest und ziehen sich zurück – nur aufgrund ihrer hormonellen Situation. Dabei changieren die Schwangerschaftshormone zwischen der Rolle als rationalistische Erfüllungsgehilfen biologischer Reproduktion, die etwa embryonale Versorgung sicherstellen, und der Rolle als Agenten des Chaos, die Körper und Geist überschwemmen. Ihre negative, chaotische Seite kommt gerade dann zum Einsatz, wenn es um die Emotionalität schwangerer Frauen* geht. Denn die hormonellen Stimmungsschwankungen sollen gewöhnliche Gefühlsmuster außer Kraft setzen und zu überbordenden Reaktionen führen, die beispielsweise die Ratgeberautorin Vicki Iovine als „hormonell bedingte Irrationalität“ beschreibt. Solche Vorstellungen von exzessiven, durch endokrine Prozesse verwirrten Emotionen haben eine sehr breite gesellschaftliche Wirkmacht. Sie werden nicht nur in Narrativen der Schwangeren über sich selbst tradiert, sondern auch in Zeitungen und Zeitschriften, in Filmen und TV-Serien, in populären Aufklärungsbüchern und in anwendungsbezogenen Texten der Medizin, der hebammengeleiteten Geburtshilfe und der Psychologie.

Die vehement postulierte Irrationalität, durch die man als Schwangere wohl alles Vertrauen in die eigene Urteilskraft fahren lassen muss, erschreckt. Und woher ist so sicher zu wissen ist, dass Hormone tatsächlich den Grund für die jeweilige Missstimmung bilden? Körperliche Erklärungen schienen in diesen Narrativen zentral, obwohl mitunter auch andere Faktoren erwähnt wurden und durchaus alternative Kausalitäten denkbar wären – von dem Wechsel in eine neue Rolle, über eine beruflich potenziell unsichere Zukunft, bis hin zu Schlafmangel. Zugleich wird Schwangerschaft oft als Schwellenzustand betrachtet, leitet sie doch zur Mutterschaft über. Und die bedeutet für viele Frauen* noch heute ein Ende der vermeintlichen Geschlechtergleichheit. Schließlich kommt es in heterosexuellen Paarbeziehungen nach der Elternschaft häufig zu einer Retraditionalisierung von Rollenmustern.

Die Selbstverständlichkeit und Vehemenz, mit der das Wissen über hormonelle Stimmungsschwankungen oder Muttergefühle vorgebracht wird, steht in auffälliger Diskrepanz zum diesbezüglichen Forschungsstand in den Lebenswissenschaften. Nicht nur beschäftigt sich die Wissenschaft allgemein verhältnismäßig selten mit der Psyche Schwangerer: Die Forschung begann zögerlich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und verzeichnete erst ab den 1990ern einen deutlichen Zuwachs. Sondern auch in den empirischen Ergebnissen sind beachtliche Inkohärenzen zu verzeichnen. Weder lassen sich oft klarere Emotionsmuster identifizieren, die sich signifikant von nicht-schwangeren Zuständen unterscheiden. Noch bestehen klare Evidenzen für endokrine Kausalmodelle. Denn bestimmte Hormonkonzentrationen lassen sich bislang nicht eindeutig mit emotionalen Zuständen von Graviden korrelieren. Die Verbreitung von Vorstellungen zu schwangeren Gefühlen sind also keineswegs darauf zurückzuführen, dass sich hier schlicht wissenschaftliche Tatsachen popularisierten. Woher kommt es dann, dass nicht nur Schwangere bei sich selbst Stimmungsschwankungen diagnostizieren, sondern durchaus auch angehende Gynäkologen auf derartige Ideen stoßen, wenn sie sich über den Umgang mit Patient*innen informieren?

Doch wie sind die Entstehungsbedingungen dieser vermeintlichen Evidenzen des Wissens zu Schwangerschaft? Auf welche Weise formierten und veränderten sich Vorstellungen zu Emotionalität? Und welche Rolle spielten körperliche Erklärungsmodelle wie die Hormone dabei?

 

Die Untersuchung

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden die Ansätze der Wissensgeschichte und der Geschlechterforschung kombiniert. Die Wissensgeschichte untersucht die historischen Entstehungsbedingungen von vermeintlich sicheren Tatsachen. Mit ihr lässt sich zeigen, dass sie geschichtlichen Veränderungen unterworfen sind und wichtige Hinweise auf kulturelle und gesellschaftliche Transformationen geben. Die Geschlechterstudien ermöglichen eine Sicht auf Geschlecht, die nicht von kulturellen Vorannahmen und Stereotypen verzerrt ist.

Die Untersuchung deckt einen langen Untersuchungszeitraum ab. Dieser reicht vom ausgehenden 18. Jahrhundert – der Zeit, in der nicht nur die medizinische Geburtshilfe entstand, sondern sich auch die moderne Geschlechterordnung und das Mutterideal herausbildeten – bis heute. Betrachtet man die historischen Zeugnisse – medizinische Lehrbücher, Ratgeber, Hebammenliteratur sowie psychiatrische und psychologische Artikel – so lässt sich feststellen, dass sich diesbezügliche Konzepte stark wandelten.

Die historischen Transformationen lassen sich, als Resultat der Forschungen, in drei Zeitphasen unterteilen, die jeweils bestimmte Figuren hervorbrachten: Die reizbare Schwangere (ca. 1870-1900), die glückliche Mutter (ca. 1900-1970) und die von Stimmungsschwanken beeinträchtigte Frau (ca. 1980-2010). Es galten für den gesamten Untersuchungszeitraum folgende grundlegende Veränderungen, welche die Interaktion von Emotionskonzepten und ihren körperlichen Erklärungen demonstrieren:

 

Emotionalisierung und Individualisierung: Heute machen emotionale Erlebnisse, verschiedene Gefühle, Stimmungen und Antriebe einen wichtigen Bestandteil der Beschreibung von Schwangerschaft aus. Von diversen Ängsten und der Sorge, das ungeborene Kind zu schädigen, über Tobsuchtanfälle und Tränen bis hin zu absolutem Glück – das emotionale Repertoire für die Schwangerschaft scheint fast endlos. Hierzu kommt auch, dass in Ratgebern Erfahrungsberichte immer mehr Raum einnehmen, oft in intimen Tonfall berichtet eine personalisierte Erzählerin von individuellen Erlebnissen. Dem gegenüber nahm dieser Gegenstand im 18. und 19. Jahrhundert wenig Raum ein. ‚Gemütsregungen’, ‚Verstimmungen’ oder ‚Reizbarkeit’ wurden nur marginal erwähnt und wenig ausgeführt. Die durchgehend männlichen Autoren blieben in diesem Bereich sehr wortkarg.

Zwei weitere Auffälligkeiten werden im historischen Vergleich deutlich: Zum einen sind mütterliche Gefühlsmusterin heutigen Diskursen sehr präsent. Dahingegen schien sich die Schwangere des 19. Jahrhunderts noch nicht als Mutter zu fühlen, zumindest fehlten diesbezügliche Schilderungen in der Zeitperiode. Zum anderen ist heute das Modell der emotionalen Schwankung, eines grundlosen Auf und Ab, zentral, wohingegen in vorangehenden Jahrhunderten die Vorstellung einer Potenzierung der Gemütsregungen dominierte.

 

Hormonisierung:Die Art, wie Menschen ihr Selbst und ihren Körper verstehen oder ihr Fühlen einordnen, veränderte sich stark. Entsprechend modifizierte sich, wie Gefühlszustände von Schwangeren erklärt wurden. Für die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert stellte ihr Nervensystem den gängigsten Bezugsrahmen dar. Sie fühlten nicht nur, wenn ihre Nerven gereizt waren, sondern versuchten auch, diese zu pflegen. Die Nerven verbanden den Menschen stärker mit seiner Umwelt, die durch Reize ständig auf ihn einwirkte. In der Schwangerschaft sollten die Nerven stärker angespannt sein, und so zu vielfältigen somatischen und psychischen Phänomenen führen. Dieses Kausalmodell bestand in der Schwangerschaft bis lange ins 20. Jahrhundert hinein. Zugleich entwickelten sich in diesem Zeitraum einige parallel existierende Konzepte, von denen vor allem im Nationalsozialismus die Vererbungslehre im Vordergrund stand. Gute oder schlechte Anlagen sollten über die Art der Emotionalität entscheiden. Schließlich traten ab den 1970ern die Hormone ihren Siegeszug an. Zunehmend stiegen sie zu primären Akteuren der Schwangerschaft auf. Heute variieren ihre Repräsentationen stark: Mitunter erscheinen die Hormone als Steuerungsinstanzen körperlicher Vorgänge – wie es den kybernetischen Regelkreismodellen entspricht, die endokrine Modelle im Allgemeinen stark prägen und die eine gewisse Abgeschlossenheit konzipieren, in der körperinterne Substanzen als Signale fungieren und sich gegenseitig regulieren. Mitunter scheinen die hormonellen Regelkreise jedoch gerade in Bezug auf Schwangerschaft durchzudrehen. Häufig wirken Hormone als Agenten des Chaos und des Exzesses. Von einer „hormonellen Überschwemmung“ oder „Progesteron-Vergiftung“ ist z.B. die Rede.

 

Die Einflussbeziehungen körperlicher Erklärungsmodelle auf Emotionskonzepte demonstriert an zwei Beispielen: erstens mit der Verschiebung von der Potenzierung zur Schwankung, die mit veränderten Annahmen zu Zeitlichkeit und Objektbezug von Emotionen einherging. Während heute schnelle emotionale Wechsel ohne klares auslösendes Objekt dominieren, herrschte im 19. Jahrhundert eine langsame und über die gesamte Zeitspanne der Schwangerschaft dauernde emotionale Verstimmung vor, in der es zu einem gesteigerten Fühlen kam: Hierbei waren Sinnesorgane und Emotionalität noch nicht getrennt – nicht nur die Augen sollten schärfer sehen und die Nase besser riechen, auch die Erregbarkeit der Gemütsregungen schien intensiviert. Diese Ideen richteten sich, so die These, stark an den jeweils vorherrschenden Körperkonzepten aus: Das Nervenmodell, das in der Ära der Potenzierung dominierte, sah einen gesteigerten Spannungsgrad der Nerven über die gesamte Zeit der Schwangerschaft vor. Durch diese entstand eine potenzierte Empfindlichkeit der Nerven, welche die Frau stärker mit dem Außen verband. Sie war damit auf gewisse Weise durchlässiger für die Umwelt, es gab stets Gegenstände des Gefühls – Dinge, die sie traurig oder glücklich machten. Diese wirkten nun heftiger. Sicherlich bestehen heute zwar mitunter Vorstellungen der Potenzierung fort. Es dominiert aktuell aber die Idee der Schwankung und bei dieser sind im Gegensatz dazu bei vielen Gefühlen keine spezifischen Objekte mehr vorhanden. „Anfälle von grundlos schlechter Laune“oder die Aussage, eine Schwangere „weint und freut sich über ein und dasselbe Ding“ sind typische Beispiele. Solche Ideen passen zum hormonellen Modell, das einen körperinternen, von der Umwelt abgetrennten Regelkreis vorsieht – ähnlich wie Hormone in der Schwangerschaft in isolierten Regelkreisen durchdrehen zu scheinen, scheinen es auch die Gefühle zu tun.

Zweitens waren noch andere Einflussbeziehungen zwischen Körper- und Gefühlsmodellen von Relevanz, nämlich die jeweils damit verbundenen Krankheitskategorien. Konzepte des weiblichen Körpers waren stets an sich wandelnde psychische Pathologien geknüpft. Im 19. Jahrhundert war das die Hysterie. Sie teilte sich mit der schwangeren Verstimmung die Zuschreibung von enormer Reizbarkeit, Irrationalität und der Potenzierung von Emotionen ebenso wie die Erklärung über die Nerven. Im hormonellen Zeitalter waren die Kategorien des prämenstruellen Syndroms (PMS) und des Menopausensyndroms prominent, die ihren Aufstieg im 20. Jahrhundert einem wachsenden pharmazeutischen Markt für hormonelle Medikation verdankten. Sie teilten sich mit der Schwangerschaft die Vorstellung hormoneller Stimmungsschwankungen. Zudem boten sie auch auf expliziter Ebene Vorbilder an, wenn es etwa hieß: „Das Gefühlsleben in der Schwangerschaft ist in vielem mit dem prämenstruellen Syndrom vergleichbar“. Dadurch lässt sich verstehen, warum die Idee hormoneller Gefühle in der Schwangerschaft so dominant wurde, obwohl es relativ wenig empirische Evidenzen dafür gab: Nicht nur lieferte solche Kategorien Vorlagen, wie sich Frauen* fühlten, wenn sich ihre Hormone veränderten, sondern sie machten auch die Vorstellung hormoneller Emotionalität in der Schwangerschaft plausibler. Wenn Zustände wie Menstruation oder Menopause mit emotionalen Einschränkungen einhergehen, so die dahinterliegende Logik, muss das doch auch in der Schwangerschaft der Fall sein.

Die Hormone hatten also tatsächlich einen Einfluss auf Gefühle in der Schwangerschaft – jedoch wohl nicht unbedingt so monokausal und direkt, wie es zunächst scheint. Vielmehr prägte das jeweilige körperliche Erklärungsmodell, seien es Nerven oder Hormone, auch mit ihm korrespondierende Modelle von Emotionalitäten.

Nachdem diese Einflussbeziehung deutlich wurde, stellt sich die Frage, weshalb die Verbindung zwischen Körper und Psyche gerade in diesem Bereich stets so eng war. In zahlreichen historischen und kulturwissenschaftlichen Studien zeigte sich, dass die Rückführung von psychischen Phänomenen auf rein biologische Gründe oft dazu diente, soziale Fragen und Ungleichheit zu verschleiern. Die These ist, dass dies auch auf Schwangerschaft zutrifft. Die Art, wie und wie viel über Gefühle geschrieben wurde, lässt Rückschlüsse auf zeitgenössische politische und gesellschaftliche Probleme zu. Dies lässt sich an drei Mustern spezifizieren

 

Das Muster der reizbaren Verstimmung

Im 18. und 19. Jahrhundert dominierte die Vorstellung, dass Schwangere auf Grund ihres Nervensystems zu einer Stimmungsverschlechterung und Reizbarkeit neigen sollten. Mit der knappen Feststellung einer Verstimmung ließen es die meisten Quellen bewenden, positive Gefühlsregungen wie Mutterliebe wurden für die Schwangerschaft hingegen nicht erwähnt. Ein Grund für diese marginale Thematisierung von Emotionalität lag darin, dass Schwangerschaft weder für die Medizin noch für die Bevölkerungspolitik große Bedeutung hatte. Die entstehende medizinische Geburtshilfe fokussierte in diesem Zeitraum primär auf die Entbindung. Folglich bekamen viele Ärzte ihre bevorzugten Patientinnen – zahlungsfähige Frauen aus Bürgertum und Adel – während der Schwangerschaft noch kaum zu Gesicht. Zudem versuchten Landesherren zwar zunehmend, den Anteil ihrer gesunden Bevölkerung zu mehren. Dabei spielte Schwangerschaft aber noch eine geringe Rolle. Eine der ersten Maßnahmen war es vielmehr, ab dem 18. Jahrhundert die hohe Säuglingssterblichkeit zu verringern, wofür man vor allem das Ammenwesen bekämpfte und förderte, dass Frauen ihre Kinder selber stillten. Auch wichtige Wegbereiter der modernen Mutterliebe wie Rousseau, konzentrierten sich auf eine Romantisierung des Stillens. Entsprechend lobten viele zeitgenössische Aufklärungsbücher bereits die Mutterliebe in den Kapiteln zum Zustand nach der Geburt, wohingegen die Abschnitte zu Schwangerschaft dazu noch gähnende Leere aufwiesen.

Wenn es auch anhand der verwendeten Quellen nicht möglich ist, das tatsächliche Gefühlsleben damaliger Frauen* zu rekonstruieren, so lassen sich doch Mutmaßungen anstellen, dass für viele Schwangere wohl tatsächlich mehr Grund zur Missstimmung als zur Vorfreude bestand: Im Durchschnitt gebaren Frauen* zahlreiche Kinder viele davon starben früh, in Preußen starb z.B. Mitte des 18. Jahrhunderts die Hälfte aller Kinder unter 5 Jahren. Zudem war diese Zeitperiode von massiven sozialen Verwerfungen geprägt. Gerade in ärmeren sozialen Schichten waren uneheliche Schwangerschaften nicht unüblich. Frauen* mit solch einem Hintergrund waren diejenigen, zu welchen die ersten Mediziner während ihrer Schwangerschaft längeren professionellen Kontakt hatten. Denn damit geburtshilfliches Wissen generiert werden konnte und um angehende Ärzte zu schulen, wurden ab dem späten 18. Jahrhundert Geburtshäuser gegründet. Uneheliche, mittellose Schwangere wurden oft per Gesetz gezwungen, sich in eine solche Anstalt zu begeben. Die Frauen* mussten sich in den Anstalten als Untersuchungs- und Übungsobjekte zur Verfügung stellen und dienten mitunter als Versuchskaninchen für die zahlreichen neu entwickelten Instrumente der medizinischen Geburtshelfer, was manchmal mit schweren Verletzungen sowie Todesfällen von Müttern und Kindern einherging. Nicht zuletzt deswegen war auch das Kindbettfieber in den Gebäranstalten weit verbreitet. Die Feststellung einer Missstimmung und erhöhten Reizbarkeit in der Schwangerschaft durch die Ärzte mochte dieser Situation Rechnung tragen. Zugleich milderte es die Emotionen ab, indem ihre Ursache nicht in spezifischen Lebensumständen gesucht wurde, sondern ins empfindliche weibliche Nervensystem verlagert wurde. Dadurch diente der Verweis auf Reizbarkeit als schwangerschaftstypischem Symptom in ärztlichen Diskursen wohl auch dazu, mögliche Widerstände zu relativieren. Etwa wurden im Marburger GebärhausSchwangere, die sich über ihre schlechte Unterbringung beschwerten, damit abgewiesen, dass diese ja auf Grund ihres Zustandes zu den „einer höheren Reizbarkeit unterworfenen Personen“ gehörten.

Blieb die Feststellung einer Verstimmung auch meist ebenso vage wie knapp, so wurde eine Unterkategorie des Öfteren erwähnt: die Gelüste. Diese sollten Schwangere zu absonderliche Handlungen führen, die bis ins Kriminelle reichten: Sie konnten Gelüste nach Feuer haben, nach Menschenfleisch oder nach Schmuck und wertvollen Gegenständen. Gerade das Stehlen bildete Thema einiger medizinischer Abhandlungen. Kein geringerer als der bekannte Gerichtspsychiater Richard von Krafft-Ebing etwa diskutierte 1868 mögliche Ursachen, von denen er – wenig überraschend – besonders reizbare Nerven in Betracht zog. Einen möglichen gesellschaftlichen Hintergrund, die soziale Notlage vieler Menschen, die sich durch eine Schwangerschaft zuspitzte und durchaus zum Diebstahl verleiten konnte, sparte er dagegen aus. Hier, wie insgesamt schien es, als mache eine Schwangerschaft alle Frauen* gleich. Die körperlichen Prozesse schienen jegliche Form der Differenz, seien es psychische Vorgänge oder soziale Unterschiede, vollkommen auszuhebeln.

 

Stimmungsverbesserung und Muttergefühl:

Ab 1900 schienen Schwangere ausgeglichener. Nun modifizierten sich Vorstellungen zu schwangerer Emotionalität allmählich, wenngleich die Idee der Reizbarkeit keineswegs völlig aufgegeben wurde. Zumindest eine Differenz zwischen Schwangeren wurde aber immer gewichtiger: zwischen denen, mit gesunden Anlagen und vermeintlich degenerierten Frauen*. Festgemacht wurde diese Differenz erneut am Körper, hierbei verschob sich das Bezugssystem jedoch: Die Konstitution und Erbanlagen wurden zentraler. Mit ihnen hielten die Ansätze der Eugenik und Rassenhygiene Einzug – Ideen einer Hinaufzüchtung des Volkes, die im Nationalsozialismus eine mörderische Zuspitzung erfahren sollten. Die Konstitution entschied nun über den Zustand des Nervensystems – und nur diejenigen Schwangeren mit zweifelhafter Anlage sollten noch zur Verstimmung neigen. Die erbgesunden dagegen schienen sich einer zunehmend stabilen Stimmung zu erfreuen. Sie sollten zufriedener, gesünder und robuster werden, ja, vorherige nervöse Leiden sollten durch die Schwangerschaft sogar behoben werden. Und auch mütterliche Gefühlsmuster hielten Einzug in den Bereich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst sehr zögerlich: „Mutterinstinkte“ sollten durch die Kindsbewegungen, ähnlich mechanischen Reflexen, ausgelöst werden.

Diese Entwicklung stand im Kontext sowohl medizinischer als auch gesellschaftspolitischer Entwicklungen: Zum einen vollzog sich eine zunehmende Integration der Schwangerschaft in die Medizin. Geburtshilfe und Gynäkologie hatten sich ausdifferenziert, institutionalisiert und verbreitert. Durch die Etablierung der Sozialversicherung und Krankenkassen war es nun breiteren Bevölkerungsschichten möglich, einen Mediziner aufzusuchen. Neue Diagnoseverfahren wie der Wassermann-Test auf Syphilis wurden im frühen 20. Jahrhundert auch für Schwangere relevant. Schließlich wurde 1929 der erste Schwangerschaftstest erfunden, die Aschheim-Zondek-Reaktion. Auch erste Ideen einer institutionalisierten präpartalen Vorsorge für alle Schwangeren entstanden.

Dieser Prozess hatte mehrere Folgen: Nicht nur kamen Mediziner in intensiveren Kontakt zu Schwangeren in unterschiedlichen Lebenssituationen. Sondern die zunehmende Medikalisierung von Schwangerschaft führte auch dazu, so meine These, dass neue Gebiete der Wissensproduktion gesucht und gefunden wurden – und die Emotionalität war eines davon. Entsprechend wurde nun grundlegende Kategorien medizinischen Denkens – die Unterscheidung zwischen Krankheit und Pathologie, Normalem und Abnormalen – auf dieses Thema angewandt. Dazu kam, dass die zeitgenössische Bevölkerungspolitik diese Entwicklung flankierte. Die Quantität und Qualität der deutschen Bevölkerung erschienen ab 1900 als immer gravierenderes gesellschaftliches Problem. Ängste vor einem allmählichen ‚Volkstod’ setzen alle Hoffnung in den Frauenkörper und in die Stärke durch Mutterschaft. Durch die parallelen, heftigen Debatten über ein mögliches Recht auf Abtreibung geriet die neu entdeckte schwangere Emotionalität noch mehr ins Visier: Wenn gesunde Frauen* spätestens nach Einsetzen der Kindsbewegungen Mutterglück empfinden sollten, so die Logik, schien ihr zuvor geäußerter Wunsch nach einem Abort wohl sowieso hinfällig. Entsprechend argumentierte der Mediziner Siegel, der 1919 eine der ersten Studien zum Gemütsleben von Schwangeren durchführte und darin ein „Mutterschaftsgefühl“ postulierte, ganz offen gegen Abtreibung und für die „Erhaltung unserer Volkskraft.“

Einen letzten Einflussfaktor stellten auch die Konflikte über die Rolle der Frau dar, die in jener Zeit entflammten. Einerseits gab es die Frauenbewegung, die den Zugang zum Hochschulstudium und schließlich das Wahlrecht für Frauen* erkämpfte. Andererseits institutionalisierte sich ein fast zeitgleich einsetzender Antifeminismus, der in Vereinigungen wie dem 1912 gegründeten ‚Bund gegen Frauenemanzipation’ seinen Ausdruck fand. In diesem Konfliktfeld wurde der vermeintlich natürliche Körper zu einem bedeutsamen Kampfplatz. Denn beiden Seiten postulierten jetzt eine dem weiblichen Körper inhärente Stärke und stabile Konstitution. Diese schien jedoch aus unterschiedlichen Gründen der Degeneration ausgesetzt. Während Anhängerinnen der Frauenemanzipation wie die Ärztin Hope Bridges Adams Lehmann die ungleiche Position der Frau dafür verantwortlich machte, befanden ihre Gegner, wie der Mediziner und Ratgeberautor Hermann Paull, gerade die weibliche Erwerbstätigkeit und Emanzipation für Schuld an allem Übel. Die vermeintliche Stärke und Stabilität in der Schwangerschaft ist so auch vor diesem Hintergrund zu verstehen.

Nach dem zweiten Weltkrieg intensivierten sich Vorstellungen einer Stimmungsverbesserung. Vor allem wurde eine Ode auf die Muttergefühle der Schwangerschaft angestimmt. Von Mutterglück und Liebe war nun die Rede. Dieser Zustand ging mit weiteren Charakteristika einher: Die Schwangere sollte von Ruhe erfüllt sein, sich von der äußeren Welt zurückziehen und sich geistig wie emotional nach innen, hin zum Kind, wenden. Dieses Emotionsmuster korrespondierte mit den Geschlechterrollen der 1950er und 1960er, in denen – nach dem Schrecken des Krieges – das Heil in der Tradition gesucht wurde. Wenn die Mutter als Hüterin des Heimes romantisiert wurde, so schien es nur folgerichtig, dass Frauen* spätestens mit dem Mutterwerden ihre natürlichen Bedürfnisse genau an diesen Sehnsuchtsort trieben. Dies war allerdings vor allem für Quellen der Bundesrepublik der Fall. In den zeitgenössischen Schriften der DDR war zwar durchaus auch von Stimmungsverbesserung und Mutterglück zu lesen, der Rückzug ins Private oder die Wendung nach Innen tauchten hier jedoch nicht auf. Dies ist wenig verwunderlich, wurde in der DDR doch schon sehr viel früher die berufstätige Mutter und nicht die Hausfrau als weibliches Ideal etabliert. Dieses Beispiel zeigt so erneut, dass Vorstellungen natürlicher Gefühlsmuster nicht unbedingt aus der Natur stammen, sondern vielmehr oft von gesellschaftlichen Normvorstellungen bestimmt sind.

Zugleich spielten bei dieser Modifikation nicht allein Wunschvorstellungen und Fremdzuschreibungen eine Rolle. Teilweise mögen die veränderten Beschreibungen tatsächlich Resonanzen auf veränderte Empfindungen vieler Schwangerer gebildet haben. Schließlich war durch medizinische Innovationen sowohl die Mütter- als auch Säuglingssterblichkeit deutlich gesunken. Zudem ließ sich eine langsame Verringerung der Geburten und der Kinderzahl pro Frau festzustellen, wodurch subjektives Überlastungserleben potenziell abnahm. In solch einem Kontext waren eine ausgeglichene Stimmung und gar Vorfreude für viele Frauen* somit wohl leichter möglich.

 

Hormonelle Stimmungsschwankungen:

In den 1970ern entstand ein bislang unbekanntes Genre in der Ratgeberliteratur: die feministischen Selbsthilfebücher. Sie traten an, das Private politisch zu machen. In den Ratgebern herrschte zum Teil eine andere Sicht auf die Emotionen der Schwangerschaft: Die vorherige Romantisierung von erblühenden Muttergefühlen wurde scharf kritisiert, ebenso wie die Pathologisierung des Frauenkörpers. Statt der eintönigen Schilderung eines vermeintlich normalen Gefühlslebens wurde nun auf Vielstimmigkeit und widersprüchliche Erfahrungen geachtet. Hier wurden Emotionen nun nicht mehr ganz so eng an ihre körperlichen Erklärungsmodelle geknüpft. Zwar bezogen sich einige Vertreterinnen ebenfalls – ganz in der Tradition des frühen 20. Jahrhunderts – auf eine von der Natur vorgegebene positive Stimmung, die jedoch von den weit verbreiteten Nervenschädigungen durch das Patriarchat verhindert würden. Andere Protagonistinnen aber erstellten ein Register unterschiedlicher Emotionen und erklärten diese gerade nicht mit Nerven, genetischen Anlagen oder Hormonen – sondern mit spezifischen gesellschaftlichen Umständen: der schlechten Behandlung in Krankenhäusern etwa, den finanziellen Problemen Alleinerziehender oder den Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung. Der Möglichkeitsraum für eine alternative Sicht auf schwangere Gefühle öffnete sich – und schloss sich bald wieder.

Denn im Bereich der Ratgeber war der feministische Spuk nach einigen Auflagen schon wieder vorüber. Dafür multiplizierte sich der Markt, immer mehr und diverse Bücher erschienen ab den 1980ern, die nicht mehr nur von Medizinern oder einigen Mediziner*innen, sondern auch von Laien-Frauen* verfasst wurden. In diesen Büchern bekam das Erleben weiterhin viel Raum, was in der Ära des sogenannten ‚Psychoboom’ kaum verwundert, der die generelle Beschäftigung mit dem eigenen Selbst förderte.

Anders als in den feministischen Texten zuvor dienten die Erfahrungsberichte nicht mehr als Grundlage politischer Reflexion, sondern als Ausdruck von Vielfalt und Individualität. Auch der Widerstreit zwischen gegensätzlichen Gefühlen war zwar durchaus noch Thema. Grund waren nun aber keinesfalls mehr gesellschaftliche Umstände: Der Frauenkörper kehrte als ultimatives Erklärungsmodell zurück, diesmal in Form der Hormone. Das Zeitalter der hormonellen Stimmungsschwankungen in der Schwangerschaft nahm spätestens in den 1990ern endgültig Fahrt auf. Die Schwangere schien zwischen emotionalen Aufs und Abs gefangen, sie war zerrissen zwischen tränenreicher Mutterliebe und plötzlichen Wutanfällen, sie erlebte „hormonelle Gefühlsschwankungen“ (Stadelmann, 2007) eine „Achterbahn der Gefühle“ (Iovoine, 2003) und ein „Karussell der Hormone“ (ebd.). Gerade das willkürliche ‚Schwanken’ verhinderte jegliche Politisierung der Gefühle, die so nur noch als emotionale Artefakte eines in sich gefangenen Selbst ohne Kontakt zur Außenwelt erschienen.

Hierbei war ein deutlicher Bruch zur Romantisierung schwangerer Gefühle zu verzeichnen, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgeherrscht hatte. Stattdessen wurden nun auch positive Gefühle wie Vorfreude oder beginnende Mutterliebe ironisiert, sie schienen als zuviel, zu spontan und übertrieben. Sogar einige Autorinnen selbst machten sich nun gern über die eigene, frühere Irrationalität lustig – oder beschrieben sie gar als generelles Problem. So wurde gewarnt, sich nicht zu sehr von den hormonellen Gefühlen mitreißen zu lassen: Es könne zu unbegründeten Konflikte mit dem Partner kommen; die Sehnsucht nach dem Kinde könne zu überteuren Spontaneinkäufen von Babyausstattung führen; die Putzaktionen auf Grund des schwangeren ‚Nestbauinstinkts’ – einer Kategorie, die erst in diesem Zeitraum entstand – könne zu körperlicher Überlastung und Gefährdung führen.

Der Aufstieg der hormonellen Stimmungsschwankungen steht in Zusammenhang mit gesellschaftlichen und medizinischen Transformationen: Zum einen veränderte sich die gesellschaftliche Rolle der Frau erneut. Das Leitbild der Hausfrau und Mutter wurde zunehmend auch im Westdeutschland (und schließlich im wiedervereinigten Deutschland) in Frage gestellt. Ein neues Ideal entstand – das, der ewig attraktiven Frau, die Kinder und Karriere scheinbar mühelos verbindet. Parallel führten stagnierende Einkommensverhältnisse dazu, dass tatsächlich auch in der Mittelschicht mehr Mütter arbeiten mussten. Die meisten entscheiden sich für die Arbeit in Teilzeit, was die idealisierten und an männlichen Biographien orientierten, Karrieremöglichkeiten wiederum erheblich einschränkte. Die ambivalente Vorstellung der Stimmungsschwankungen in der Schwangerschaft scheint gerade das Spannungsverhältnis, das in diesem neuen Mutterideal lag, in sich zu vereinen: Einerseits fungierte die weibliche Biologie so weiterhin als Ziel eines Frauenlebens, Muttergefühle gehörten weiter zur Schwangerschaft. Andererseits erschienen Biologie und Mutterschaft als Hindernisse, deren Ruf nicht zu sehr nachgegeben werden sollte, da sie wirklichen Erfolg letztlich verhinderten.

Zum anderen hatte in der Medizin und zunehmend über sie hinaus die Figur des Fetus ihren Auftritt. Hierfür waren zwei Prozesse von Bedeutung: erstens die Visualisierungstechniken in Folge des Ultraschalls, die ab den 1960ern entstanden und bald darauf in Routineuntersuchungen eingesetzt wurden. Die bekannte Historikerin Barbara Duden hat nachgezeichnet, wie der Fetus so auf bildlicher Ebene vom Frauenkörper getrennt wurde und als eigenständiger Akteur erschien. In zeitgenössischen gesellschaftlichen Debatten um Abtreibung fungierte die neue Figur als wirkmächtiges Argument: Abtreibungsgegner interpretierten sogar frühe embryonale Stadien bereits als Kind und schützenswertes Leben. Zweitens schienen dem Fetus nun auch noch von anderer Seite Gefahren zu drohen: Beginnend mit dem Contergan-Skandal 1961/62 gelangte die Teratologie, die Lehre von fetalen Missbildungen durch Umweltfaktoren, aus dem Schatten einer Randdisziplin ins gesellschaftliche Scheinwerferlicht. Schon bald bestanden die Hauptgefahrenquellen für den Fetus allerdings nicht mehr in einer mangelhaft kontrollierten Pharmaindustrie oder in Umweltgiften, sondern im Fehlverhalten von Schwangeren. Was mit Contergan begann und sich mit der Problematisierung von schwangerem Drogenkonsum ab den 1970ern fortsetzte, entwickelte sich bald zu einem unübersichtlichen wie detaillierten Regelwerk möglichen Fehlverhaltens: Zigarettenrauch, geringste Alkoholmengen, zu wenig Bewegung, zuviel Stress, Katzen, Rohmilchkäse – die Liste, wie Schwangere ihrem Ungeborenen schaden können, ist mittlerweile sehr lang. Beide Prozesse machten den Fetus und die Schwangere nicht nur zu Gegenfiguren, sondern sie problematisierten auch die Psyche Schwangerer: ihre Entscheidungen, ihre emotionale Spontanität und ihre Instinkte konnten zu ungeahnten Schäden beim Kind führen. Die hormonellen Stimmungsschwankungen können so als Ausdruck dieses neuen Misstrauens in das schwangere Gefühlsleben verstanden werden.

Darüber hinaus mag die Verbreitung dieser Vorstellung auch tatsächlich eine Resonanz veränderter Lebensumstände vieler schwangerer Frauen* darstellen. Durch bessere Verhütungsmethoden, insbesondere den Aufstieg der Pille ab den 1960ern, ist das Kinderkriegen planbarer geworden. Die Familiengröße hat sich verkleinert und eine Schwangerschaft ist für viele Frauen* ein ein- oder zweimaliges Lebensereignis. Hinzu kommt – trotz einer minimierten Mütter- und Säuglingssterblichkeit – eine große Bandbreite mittlerweile obligatorischer medizinischer Vorsorgeuntersuchungen mit immer feinerer Risikoberechnungen. Für den Fall, dass die Untersuchungen ein höheres Risiko für eine fetale Behinderung nahe legen, verwandeln sich diese Präventionsmethoden schnell in Technologien der Unsicherheit. Denn was die Ergebnisse konkret bedeuten und, vor allem, was daraufhin zu tun ist, wird oft der individuellen Entscheidung der Frau überlassen. Die fühlt sich damit entsprechend allein. Parallel dazu haben sich sowohl Anforderungen an gute Kindererziehung gesteigert als auch die Maßstäbe für erfolgreiche weibliche Karrieren. Das Zusammenkommen dieser unterschiedlichen Entwicklungslinien hat dazu geführt, dass Schwangerschaft heute ein ebenso kostbarer wie riskanter Zustand ist. Die Wahrnehmung von negativen, wechselhaften Stimmungen in der Schwangerschaft kann in einigen Fällen somit durchaus Indikator für die Anstrengungen durch diverse Doppelbelastungen sein, für das Unbehagen über medizinische Überwachungs- und Optimierungsphantasien sowie für die Zerrissenheit zwischen verschiedenen Handlungsimperativen.

 

Zur gesellschaftlichen Relevanz des Themas

Auf den ersten Blick mögen hormonelle Gefühle in der Schwangerschaft ein randständiges Thema sein – es scheint sich um vage Zuschreibungen an einen vorübergehenden Zustand zu handeln. Bei näherer Betrachtung erweist sich der Gegenstand jedoch als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Konflikte, in dem sich der medizinische Umgang mit menschlichem Leben und die soziale Ungleichheit der Geschlechter mit dem Problem der Biologisierung kreuzen.

In vielen Biographien bildet Mutterschaft – und die vorangehende Schwangerschaft – einen entscheidenden Moment, in dem sich die Lebensentwürfe von Frauen* und Männern* auseinander dividieren. In Folge der Retraditionalisierung durch Elternschaft übernehmen Mütter häufig den Großteil der Hausarbeit und Familientätigkeit. Folglich sind sie meist in Teilzeit berufstätig, mit den bekannten Folgen von ökonomischer Abhängigkeit und potenzieller Altersarmut. Im Jahr 2012 arbeiteten 65 Prozent der Frauen* mit Kindern unter 18 Jahren in Teilzeit, wobei die meisten als Grund für diese Beschäftigungsform das Vereinbarkeitsproblem angaben. Dem standen nur 6 Prozent von Vätern* in Teilzeit entgegen, von denen nur wenige erklärten, dies aus Familiengründen zu tun. Zudem birgt Mutterschaft ein gewisses Armutsrisiko, insbesondere nach der Begrenzung des nachehelichen Unterhalts auf 3 Jahre. Etwa 2009 bezogen 31 % aller Alleinerziehenden – fast alle weiblich – Hartz IV. Die Behauptung von Chancengleichheit steht also in starkem Gegensatz zu massiven strukturellen Problemen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die oft verkündete weibliche Irrationalität durchaus anders interpretieren, nämlich als durchaus folgerichtige Reaktion auf gesellschaftliche Bedingungen, die ihrerseits von erheblicher Irrationalität geprägt sind.

Gerade die Biologisierung, die sich in Vorstellungen wie den hormonellen Stimmungsschwankungen ausdrückt, verhindert jedoch eine Politisierung. Die Auswirkung struktureller Probleme werden neutralisiert, indem sie lediglich als rein individuelle emotionale Reaktionen oder als Folge hormoneller Schwankungen erscheinen. Dies mag mit eine Antwort auf die Frage sein, warum sich eine so einflussreiche Frauenbewegung wie in den 1970er Jahren heute nicht mehr konstituiert, obwohl geschlechtliche Ungleichheiten durchaus fortbestehen.

Konkret ergeben sich aus der Arbeit Konsequenzen auf drei gesellschaftlichen Ebenen:

 

  1. Politische Entscheidungsträger_innen sollten gerade nicht in die Rhetorik weiblicher Irrationalität – sei es in der Schwangerschaft, sei es z.B. in Bezug auf vermeintlich unkluge Entscheidungen für Teilzeitarbeit – einzustimmen, sondern Mütter als Akteurinnen ernst zu nehmen. Besonders in der Familien- und Arbeitspolitik ist ein stärkerer Fokus auf echte Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern nötig. Dabei sollten die spezifischen Probleme, die sich für Frauen* durch Mutterschaft ergeben, stärker berücksichtigt werden. Dies betrifft nicht nur eine bessere ökonomische Absicherung von Alleinerziehenden. Sondern es beinhaltet auch veränderte Rahmenbedingungen. Beispielsweise ist gerade die Tendenz zu befristeten Arbeitsverträgen in einer Schwangerschaft besonders fatal. In diesem Falle wird der Vertrag oft nicht verlängert und eine Folgeanstellung ist kaum zu finden. Einen weiteren Ansatzpunkt bildet die Arbeitsbelastung, die sich für viele Eltern in den letzten Jahrzehnten intensiviert hat. Während in klassischen Rollenmodell der Einverdienerfamilie die durchschnittliche Erwerbsarbeit pro Elternpaar 40 Wochenstunden betrug, beläuft sie sich in den heute verbreiteten Zweiverdienerpaaren auf 60 bis 80 Stunden. Auf die darauf entstehende Überlastung zielen bereits Vorschläge wie der, die Wochenarbeitszeit für Eltern auf 32 Stunde zu verkürzen.
  2. Für den professionellen und medizinischen Umgang mit Schwangerschaft sind zwei Aspekte von Relevanz. Der eine betrifft die wenig reflektierte Übernahme vermeintlich sicheren Wissens in Lehr- und Sachbüchern. Nach wie vor finden sich auch in medizinischen Publikationen teilweise Vorstellungen wie die hormonellen Stimmungsschwankungen oder der Nestbauinstinkt, deren Existenz nicht ausreichend empirisch fundiert ist. Dazu kommt, dass gerade die, mit solchen Vorstellungen zumindest implizit einhergehende, Annahme von Irrationalität verhindern kann, dass zwischen Mediziner_in und Patient*in ein Kontakt auf Augenhöhe stattfindet. Der ‚Compliance’, also dem kooperativen Verhalten der Patient*in, ist dies sicherlich wenig dienlich. Der andere Aspekt betrifft den generellen medizinischen Umgang mit Schwangerschaft und Geburt, insbesondere die sich ausweitende Pränataldiagnostik und den parallelen Abbau der Hebammenvorsorge. Hier ist zu hinterfragen, ob diese Techniken und Routinen tatsächlich noch dem Wohl und der Gesundheit der Schwangeren dienen – oder ob sie nicht eher von Marktdynamiken und versicherungstechnischen Abwägungen motiviert sind.
  3. Bei einzelnen Frauen* können die Ergebnisse dazu führen, sich intensiver mit ihren eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen, nicht nur in der Schwangerschaft. Solch eine Auseinandersetzung bedeutet keineswegs, jeglichen Einfluss der Hormone von sich zu weisen. Endokrine Prozesse können durchaus Auswirkungen auf psychisches Befinden haben und sind für einige Menschen spürbar. Es bedeutete aber wohl, keine voreiligen Schlüsse über rein hormonelle Gründe zu ziehen, sondern sich selbst und sein Fühlen ernst zu nehmen. Möglicher Weise sind nicht alle starken Emotionen, gerade in der Schwangerschaft, willkürliche hormonelle Schwankungen ohne externe Ursachen. Vielleicht existieren eben doch bestimmte Gegenstände der Gefühle, sei es die Angst über einen möglichen Verlust des Arbeitsplatzes, der Ärger über den Partner, der seinen Teil der Hausarbeit nicht übernommen hat, oder das Unbehagen über die vermeintlichen Versprechen einer intensiven Pränataldiagnostik. Vielleicht sind manche dieser Gefühle weder Folge weiblicher Biologie noch individuelle Befindlichkeiten, sondern Ausdruck von allgemeineren Problemen, die in der Gesellschaft zu suchen sind. Und die gilt es, anzugehen.
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Sitzen für die Zukunft – ein Gastbeitrag zum Frauenstreik

Mai 26, 2019
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Frauenstreik

Am 14. Juni tun einige Aargauer Landfrauen das, was für sie am Ungewöhnlichsten ist; sie tun nichts. Denn Lotti Baumann, Präsidentin des Landfrauenverbandes, hat für 14. Juni von 15:30 bis 16:45 zum Sitzstreik aufgerufen für gerechtere Verteilung der Hausarbeit.

Ein Interview von Christine Braunersreuther 

Lotti Baumann arbeitet hart. Für eine Bäuerin ist das nicht verwunderlich. Aber derzeit arbeitet sie noch viel härter, nämlich an sich selbst. Die Präsidentin des Landfrauenverbandes hat vier Kinder großgezogen und immer alles so gemacht, „wie es urlange schon so in uns Frauen gespeichert ist und wie es seit Generationen schon so gemacht wird“ – nämlich dass Frauen immer für die Haushaltsarbeiten und die Kinder zuständig sind und ganz selbstverständlich aufstehen und rennen, wenn etwas getan werden muss. Doch jetzt hängt vor Lotti Baumanns Hof eine violette Fahne mit geballter Faust. Jetzt ruft Lotti Baumann die Aargauer Landfrauen für 14. Juni zum Sitzstreik auf, weil sie findet, die Frauen dürften nicht weiter alles so hinnehmen wie bisher, müssten sich auch einmal beteiligen und nicht immer nur im Hintergrund sein und die ganze Hausarbeit machen.

Frau Baumann, wie kamen Sie auf die Idee zu einem Frauenstreik? Sie haben einmal gesagt, die Erkenntnis sei Ihnen am Weihnachtsabend gekommen. 

LB:

Ja – „Gopfriedstutz“ habe ich mir am letzten Weihnachtsabend gedacht, als ich mit meiner Tochter und der Schwiegermutter den Abwasch gemacht habe, während die Männer Wein getrunken und diskutiert haben. Aber eigentlich war das nur die Erleuchtung. Die Idee mit dem Streik hatte ich schon früher. Durch meine Funktion bin ich Mitglied des Runden Tisches, da kommen Frauen aus allen Organisationen und Parteien aus dem Kanton zum Austausch zusammen. Da kamen mal die Gedanken und Ideen zu einem Frauenstreik auf und ich wurde gefragt: „Machst du mit?“ Und es war sofort ein Wunsch von mir, dass sich die Landfrauen da einmal beteiligen und nicht immer nur im Hintergrund sind. Wir waren immer versteckt hinter dieser Vorgabe, dass wir politisch neutral sind. Politisch neutral – das hieß, sich immer im Hintergrund halten. Das wollte ich nicht mehr. Ich habe das dann im Vorstand besprochen und alle waren sich einig: DAS machen wir.

Aber wie sind Sie dann gerade Weihnachten darauf gekommen, dass Sie sich nicht nur irgendwo anschließen wollen zu einem Streik, sondern selber dazu aufrufen wollen? 

LB:

Dieses Beispiel mit Weihnachten war nur so ein Beispiel, dass man die ganze Zeit Vieles hinnimmt und nicht überlegt, ob es wirklich so sein muss, wie es halt immer ist und immer war. Das ist ja nicht nur bei mir so. Ich habe viel in Bauersfamilien ausgeholfen früher im Haushaltsservice und da war es immer so, dass wenn etwa am Mittagstisch das Kind schreit weil es irgendwas braucht, dann steht die Mutter auf und holt es und wenn dem Mann etwas fehlt, dann geht sie auch und holt. Das sind so kleine Sachen, aber da ist ein Umdenken nötig. Das braucht wirklich Arbeit, dass man es als Frau, wenn man es nicht anders gewöhnt ist, dann aushält zu sagen: „Hol es dir doch selber.“

Und bei uns Landfrauen bleibt es ja nicht dabei, dass wir das zu Hause machen. Es sind dann vielleicht die Eltern, die etwas brauchen, oder die Nachbarin, und dann kommt der Bürgermeister und fragt: „Ihr Landfrauen, macht ihr den Apero zum nächsten Festtag?“ Und man sagt: „Toll, klar, das machen wir.“ Und bekommt dafür aber nichts als Gottes Lohn. Erst kürzlich hatten wir eine Anfrage für ein Buffet. Da haben die Leute uns klar gesagt, sie hätten nur ein geringes Budget und wenn sie das beim Bäcker bestellen, wäre das viel zu teuer, deshalb haben sie bei den Landfrauen gefragt. Das haben wir dann nicht gemacht. Denn wir machen die Sachen ja schon gerne – aber die Wertschätzung muss halt da sein. Und die ist halt nicht mit einem Dankeschön getan. 

Hatten Sie vor Ihrem Entschluss schon einmal von Frauenstreiks gehört – oder kennen Sie die „Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne“ aus den 1970ern?

LB:

Da muss ich sagen: Das ist lange Zeit an mir vorbei gegangen. Ich habe 4 Kinder groß gezogen – und es waren immer nur die Kinder und der Betrieb im Mittelpunkt. Aber jetzt habe ich das Amt und die Möglichkeit, mich zu informieren, und jetzt tu ich das und rede darüber. Denn ich habe das Gefühl, das muss mal jemand aufs Tapet bringen. Früher dachte ich immer, das ist uns Frauen in der Natur so gegeben – wenn es darum geht, vorne hinzustehen und dazu zu stehen, was man gesagt, dass man das halt nicht so gerne macht. Aber es ist halt die Erziehung. Es ist so überliefert über die Generationen. Aber das kann man auch ändern.

Haben Sie das in Ihrer eigenen Familie schon anders transportiert? Bzw. wie nimmt ihre Familie ihr Engagement auf? 

LB:

Wir haben zu Hause auch unsere Muster. Wir haben ein Mädchen und drei Jungen – und gerade beim Jüngsten, der jetzt die Landwirtschaftslehre beginnt, merke ich; der hat so viel vom Vater und Großvater auch in seinem Verständnis, wie die Rollenverteilung geregelt ist. Da krieg ich manchmal fast Schübe. Wir sprechen das natürlich an und ich sag ihm, dass eine Frau das nicht so gut finden wird, und lachen dann auch darüber – aber das sitzt so tief…

Gerade war ich 4 Tage weg. Ich fahre ja öfter mal mit meinen Frauen weg für ein paar Tage. Früher war es so, dass meine Tochter für Ordnung gesagt hat, bevor ich zurück gekommen bin. Aber jetzt ist sie nicht mehr am Hof. Und trotzdem war Ordnung und sauber. Da habe ich sie gelobt. Nur mit der Ordnung im Keller mit dem Sortieren sind sie noch nicht so geimpft, das mache ich besser selber. Aber eigentlich machen sie das eh alles gerne, haben sie sogar gesagt. Ich selber mache das auch gerne – und ich hoffe, dass ich das auch so weiter geben kann. Ich muss mich nur selber immer wieder an der Nase nehmen, dass ich nicht einfach so abspule, wieder so zu tun wie immer, nämlich alles zu machen. Weil dann ist es einfach zu viel.

Und wie haben die Landfrauen auf den Streikaufruf reagiert? 

LB:

Viele haben positiv reagiert – aber es gibt Viele, die das falsch verstehen. Ich merke: wenn ich ein persönliches Gespräch führe mit den Frauen, dann verstehen sie es auch. Das Problem ist das Wort ‚Streik‘. Das ist sehr dunkel behaftet. Es ist das, was viele Frauen abschreckt. Entscheidend ist, dass Frauen merken, dass wir nicht aggressiv sind oder Parolen schreiben oder provozierend vorgehen. Wir machen diesen Sitzstreik letztendlich, aber wir sind ganz friedlich. Wir haben unser Essen und Getränk dabei und machen einfach nichts. Und zeigen uns. Das ist mir eigentlich das Wichtigste. Wir forder auch nicht groß – wir fordern höchstens die Frauen auf: habt den Mut, setzt euch hin, lasst euch auf Diskussionen ein und überlegt, was sind eure Wünsche. Mir war wichtig, dass keine Frau etwas vorbereiten muss, einmal nichts backen oder so. Die Landfrauen tun ja sonst schon immer so viel.

Manche Frauen waren aber schon auch ablehnend. Wir haben das zwar im Vorstand gemeinsam beschlossen, sonst hätte ich das auch nicht gemacht. Aber die Mitglieder können da nicht alle so mit. Die haben Angst, dass wir die Männer angreifen – und sagen, es sei grundsätzlich gut so, wie es sei und es gab auch Drohungen, dass sie aussteigen aus dem Landfrauenverband. Ich habe böse Mails bekommen, dass wir da den Geschlechterkrieg anzetteln. Aber das ist nicht, was wir wollen. Wir wollen, dass jede Frau selber ihre Rolle hinterfragt. Und dass sie aus ihrer Opferrolle rauskommt. Aber das muss jede selber machen für sich.

Ich hab auch von Männern Mails bekommen – aber die waren so ohne Niveau, die habe ich gelöscht. Manche Männer sagen ja: „Die Frauen sollen erst mal zum Militär.“ Ich habe erfahren, in solchen Fällen nützt argumentieren nichts – darüber muss man hinweg lächeln. Es dröhnt schon so hilflos, wenn sie mit diesem Argument kommen. Das kommt halt dann, wenn ihnen sonst nichts mehr einfällt. Das ist scheinbar die Angst, den Frauen da mal die Macht zu überlassen. In den Kommentaren zu einem Artikel über mich, wo ich das gesagt habe, hat eine Frau etwas sehr Gutes geschrieben: „Das wäre ja noch schöner, wenn wir da auch noch mitmachen müssten – das haben ja nicht wir erfunden.“

Da muss man auch umdenken und sich klar sein, dass man es nicht allen recht macht. Das muss man schon lernen.

Was genau wollen sie mit dem Streik erreichen? 

LB:

Ich denke, es ist jetzt mal ein kleiner Schritt in eine Richtung, in der viel gemacht werden muss. Und danach hoffe ich, dass das weiter Thema bleibt. Einfach diese Stärkung der Frauen – auch im Politischen sich zu engagieren und sich selber etwas wert zu sein. Wenn man „bloß Hausarbeit“ macht – das ist ja eine Diskriminierung unter den Frauen selber. Das muss aufhören. Jede macht das, was für sie am besten ist.

Es gäbe so gute Möglichkeiten. Einfach anerkennen, dass es Frauen gibt, die mehr der Typ sind für zu Hause bleiben oder auswärts arbeiten gehen. Auch die Frauen untereinander. Wir streiken zusammen mit dem katholischen Frauenverband. Es wäre so wichtig, dass die Frauenorganisationen mehr zusammen machen würden, im großen Ganzen, sich mischen und miteinander. Dann findet man viel bessere Lösungen. Das braucht eine Offenheit – auch von den Landfrauen. Aber von allen Seiten. Da muss man in der Zukunft ganz fest dranbleiben.

Ich denke, wir gehen schon in die richtige Richtung. Wir können sehen: wir haben Fortschritte gemacht. Aber vielleicht geht es zu wenig schnell.  Da ist so ein Streik gar nicht schlecht. Da kommt das wieder auf – und gibt wieder Schub. 

Gibt es Forderungen, die über die Bewusstwerdung hinaus gehen?

LB:

Unser Dachverband hat Forderungen an den Bauernverband gestellt, dass jeder Betrieb verpflichtet ist, jeder Frau ihren Lohn zu bezahlen und ihre Abfindung und dann auch ihre Pension. Der Dachverband hat gefordert, dass das an die Direktzahlungen gekoppelt wird. Die Forderung, wurde aber abgeschmettert. Sie galt aber nur für die Arbeit im Betrieb. Aber das Hauptproblem dabei war: die Löhne in der Landwirtschaft sind so klein, dass sie kaum für eine Person reichen – und das ist dann halt der Mann.

Wir raten aber dazu, dass Frauen trotzdem ihre Arbeitszeit dokumentieren. Damit sie etwas vorweisen können, wenn sie sich scheiden lassen wollen oder so. Aber es machen so wenige. Immer steht der Betrieb im Mittelpunkt. Junge Frauen kommen auf den Betrieb und denken sich, alles wird gut. Ich rufe aber auf: Schaut, dass ihr eine Taggeldversicherung macht. Und schreibt eure Stunden auf. Das ist wichtig. Aber das mit der Versicherung machen noch nicht einmal die Männer. Da werden lieber teure Maschinen gekauft von dem Geld, aber niemand denkt daran, dass die dann keiner bedienen kann, wenn mal jemandem etwas passiert.

Und ich sage auch immer, dass die Frauen wählen gehen sollen und dass überhaupt mehr Frauen politisch tätig werden. Ich wurde oft gefragt: „Hat es keinen Platz für Frauen in der Politik?“ Doch, den hat es! Es müssen nur mehr Frauen wollen und tun. Es wäre wirklich gut, wenn gleich viele Frauenstimmen dazu kommen wie Männerstimmen. Ist ja logisch, sonst wird halt nie eine Politik für die Frauen gemacht.

Das klingt jetzt aber nicht so unpolitisch, wie Sie das am Anfang gesagt haben.

LB:

Der Landfrauenverband ist über-parteiisch, das steht so in den Statuten. Bei mir hat es sich jetzt gerade so ergeben, dass ich auf einer Liste kandidiere für den Nationalrat. Ich bin CVP , also Mitte. Früher war ich sogar einmal SVP. Aber auch so aus Gewohnheit, weil meine Familie immer SVP war. Aber ich bin mit meinem Mann vor ein paar Jahren ausgetreten, weil das für mich einfach nicht mehr gestimmt hat.
Ich kandidiere jetzt für eine bäuerliche Unterliste. Viele haben gesagt, das müsste nicht sein. Aber jeder Mensch hat seine Gesinnung. Jede_r fühlt sich an einem bestimmten Ort wohler. Und wenn man fair miteinander umgeht ist es so, dass Demokratie gewinnt.
 

Und wie sieht es mit dem Streik am 14.6. aus? Betrachten Sie den auch als politisch?

LB:

Bei dem Streik ist mir ganz wichtig, dass wir alle zusammen tun. Wir streiken ja auch zusammen mit den katholischen Frauen. Eine Zeitlang hatte ich fast Angst, dass ich alleine da sitze. Jetzt weiß ich, die katholischen Frauen kommen auch und noch 20, die fest zugesagt haben, dass sie kommen. Wünschen würde ich mir 50-80. Aber viele sagen, es ist Saison. Viele sind bei der Ernte und Turnfest ist auch in Aarau. Ich lasse mich überraschen – und weiß, dass ich nicht alleine da sein werde. Im Vorstand haben wir den Streik zwar gemeinsam beschlossen – aber ich fühle mich so, als wäre ich Einzelkämpferin. Sie lassen mich das ausbaden. Und alle werden sicher nicht kommen.

Betrachten Sie die Initiative als beispielgebend? 

LB:

Ablehnend habe ich nichts gehört – aber ich weiß von keinem anderen Kanton, der eine Aktion plant. Nur, dass teilweise Bäuerinnen sich irgendwo anschließen, aber eigene Aktionen haben sie nicht geplant.

Aber vor Kurzem hat die Präsidentin des Schweizerischen Landfrauenverbandes angefragt, ob sie bei uns mitmachen kann. Das freut mich sehr! Ich habe vorher schon Rücksprache gehalten, ob der schweizerische Verband dahinter steht. Die haben gleich gesagt, sie geben uns Rückendeckung. Aber dass Präsidentin kommt, das ist ganz neu – das werde ich auch so kommunizieren an die anderen Frauen. Na, und vielleicht kommt sogar jemand vom Bauernverbund? Der Streik ist ja für Männer nicht verboten….

Vielen Dank an Christine Braunersreuther für das Bereitstellen ihres Gastbeitrags!

Video: I was the pregnant man

Mai 22, 2019

In diesem sehenswerten Video spricht Trystan Angel Reese über sein Leben und seine Schwangerschaft. Resse hat den Blog ‚Biff and I‚. Leider fand ich dieses Video, das ich schon lange posten wollte., nur über einen oft weitergeleiteten Facebook-Link, ich hoffe es funktioniert trotzdem:

Ein weiteres Video von Reese ist dagegen besser zugänglich:

 

 

 

 

Am 8. März: Riot Parents: Perspectives on feminist motherhood (auf der Berlin Feminist Film Week)

März 6, 2019
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Alle Personen, die am 8. März streiken oder sonstwie Zeit haben, sei die Feminist Film Week empfohlen. Dabei sei ein Filmschmankerl besonders ans Herz gelegt: Das Panel Riot Parents: Perspektiven feministischer Elternschaft.

Am 8. März wird dort um 10:00 zuerst der Film (M)OTHER von Antonia Hungerland gezeigt. Danach gibt es eine Podiumsdiskussion, bei der neben Alisa Tretau und Feray Halil auch ich mitmachen werde.

Der Ankündigungstext zum Panel:

Kaum ein soziales Konstrukt ist so sehr umkämpft, wie das der Mutterschaft. Politik wird mit dem Körper von Menschen mit Uterus gemacht, die durch gesellschaftliche Normen mit dem Konzept von Mutterschaft und den Erwartungen an diese Rolle konfrontiert sind. Doch nicht alle Menschen wollen Kinder, nicht alle können welche bekommen und wenn es eine Person kann und will, hat sie das Recht, die Bedingungen dafür selbst zu gestalten. Diesem Recht stehen in einer hetereosexuell und cis-geschlechtlich organisierten Welt gesellschaftliche Normen und Zwänge entgehen, die es gilt zu hinterfragen und aufzubrechen. Unser Panel “Riot Parents” möchte alternative Narrationen von Elternschaft im feministischen Kontext sichtbar machen. Im Vorfeld des Panels freuen wir uns den Dokumentarfilm (M)OTHER von Antonia Hungerland (Deutschland 2018, 88 min.) deutsch und englisch mit deutschen und englischen Untertiteln als Preview zeigen zu können. Der Film geht der Frage nach, warum Mutterschaft als etwas “natürliches” angenommen wird und begleitet Familien, die alternative Modelle leben.

 

Die zumutbare Opfergrenze und der § 219a

Dezember 16, 2018
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Juramama hat einen fantastischen Text zu dem katastrophalen ‚Kompromiss’ zum § 219a geschrieben. Ich habe durch ihren Text ‚Raus aus meinem Uterus‚ viel gelernt – unter anderem das bedenkliche Wort „zumutbare Opfergrenze“. Der Begriff scheint vorauszusetzen, dass Personen mit Uterus sowieso ein Opfer zu bringen haben – und welches Opfer dabei noch zumutbar ist, entscheiden meist Personen ohne Uterus.

Ein Ausschnitt aus dem langen Text, in dem sich die Autorin einige gute Fragen stellt:

Wieso sind (…) Berufe, die schützenswertes Leben direkt pflegen und versorgen, die am miesesten bezahlten Branchen? Wenn ich das richtig verstanden habe, sind es Frauen und ihr Uterus, die „das Leben schützen“ und ermöglichen? Wieso zum Teufel können Frauen denn dann eigentlich nicht schon immer völlig von Kinderwunsch oder Kindern unbehelligt durch eine eigene sichere finanzielle Existenz gehen und allein aufgrund ihrer beruflichen Kompetenzen jede Stelle der Welt bekommen? Warum endet ein Leben mit  Kinderaufzucht des schützenswerten Lebens ganz sicher in bitterlicher Armut, wenn man nicht in einem Umfang berufstätig ist, als hätte man sich gegen dieses Kind entschieden?

Tja. Weil diese exklusiv weibliche Kompetenz und dieses „schützenswerte Leben“ faktisch immer nur zu ganz großer Scheiße und zu rechtlich und gesellschaftlicher Diskriminierung geführt hat und nicht etwa dazu, dass überall goldene Gebärpaläste gebaut werden.

Oder gar dazu, dass die Väter dieses schützenswerte Leben nach der Geburt biologisch und gesellschaftlich selbstverständlich aufziehen und finanzieren wollen, wo doch die Frau dieses Leben so verantwortungsvoll mit ihrem Körper ausgetragen hat. Mir sind keine historischen Kämpfe bekannt, in denen Horden männlicher „Suffragets“ über Jahre und unter Einsatz ihres Lebens mit Pechfackeln durch die Straßen gezogen wären, um eine Finanzierungs- und Betreuungsberechtigung für all ihre leiblichen Kinder zu erstreiten. Komisch. Wenn diese schützenswerten Kinder aus den Gebärmüttern geschlüpft sind und aufgezogen und finanziert werden müssen, verstummt der Schrei nach „Lebensschutz“ plötzlich. Nicht nur in der Geschichte des Rechts. Väterrechtler knüpfen ihre oftmals berechtigte Wut über unzureichenden Umgang mit ihren Kindern ganz wesentlich an einen einzigen, rechtshistorisch relativ neuen Umstand: Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet für ihre Kinder vollen Unterhalt zu bezahlen und sie zu beerben. Ob sie das Kind wollten oder nicht und ob es ehelich oder unehelich gezeugt wurde. Bevor es diese klaren Verpflichtungen im deutschen Gesetz gab, war von Väterrechtlern und ihrem Kampf um generellen Umgang und Sorgerecht und Verantwortung nichts Nennenswertes zu sehen und zu hören. Wenn es um Geld und eine möglichst beeinträchtigungsfreie Aufzucht dieses Lebens geht, ist die ganze Chose „Lebensschutz“ nämlich dann doch wieder eine Frage der „Eigenverantwortung“ der Frau. Sie hätte das Kind ja nicht bekommen müssen. Keiner habe sie gezwungen. Die Eigenverantwortung für ihren Körper und ihr Leben stehen plötzlich felsenfest im Mittelpunkt und das obwohl man ihr genau diese Eigenverantwortung am letzten Wochenende auf einer Lebenschützerdemo mal eben komplett abgesprochen hat. Oder Annegret Kamp-Karrenbauer sie für etwas hält, was christlichen Werten widerspricht.

Man stelle sich mal ein staatliches Programm vor, das an die verpflichtende Konfliktberatung für ungewollt Schwangere ein Antragsrecht auf finanzielle Absicherung knüpfen würde. Ein Programm, dass diese Frauen mit 1500 Euro monatlich bei der Kinderaufzucht staatlich unterstützt, wenn sie das Kind nach einer Beratung dann tatsächlich bekommen. Freilich zusätzlich zum rentenrelevanten Erwerbseinkommen. Es wäre reflexartig von Sozialschmarotzerei die Rede und dass sich dann ja wohl jede Schwangere in den Beratungsstellen vorstellen würde. „Wieso soll ich für fremde Kinder zahlen? Was gehen mich die Blagen von der Schlampe an? Soll die halt die Beine zusammenhalten!“ schreien dieselben bigotten Moralisten, die sich aber vorher doch so sehr um die fremden Kinder in den fremden Uterussen gesorgt haben. So weit geht die eigene Verantwortung  für die Einmischung in die körperlichen Angelegenheiten fremder Frauen dann doch nicht. Dieselben Heinis schreien heute „Unterhaltsmafia“ und haben schon bei der Diskussion um „Nein heißt nein“ Schaum vor dem Mund. Verantwortungsvoller Umgang mit Geschlechtsverkehr und seinen Folgen spielt offenbar immer nur dann eine Rolle, wenn man sie selbst gerade nicht übernehmen muss.

Neben den vielen wichtigen Fakten aus ihrem Text noch zwei Dinge, die ich in der aktuellen Diskussion wichtig finde:

  1. Gemäß den Daten auf Destatis sind mehr als die Hälfte aller Personen, die abtreiben, bereits Mütter* (bzw. es handelt sich um Personen mit einem oder mehr Kinder). Das spricht erstens gegen das sowieso aus vielen Gründen falsche Argument von vermeintlicher Unverantwortlichkeit oder Naivität (a la ‚Abtreibugspillen wie Smarties‘). Und es spricht zweitens umso mehr dafür, dass viele Personen, die abtreiben, bereits ganz real die Erfahrung gemacht haben, wie vollkommen allein sie mit dem ’neuen Leben‘ tatsächlich sein werden, wenn es sich nicht mehr in ihrem Bauch befindet – wie viel Arbeit sie nach der Geburt eines Kindes sie haben, und wie wenig Unterstützung sie dafür von der Gesellschaft bekommen. Nochmal zu Erinnerung: Mehr als 90 % der Alleinerziehenden sind Frauen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge waren 2015 rund ein Drittel aller Alleinerziehenden in Deutschland von Armut bedroht, noch mehr (40 Prozent) waren 2011 auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Sozialgesetzbuch (SGB) II, also „Hartz IV“, angewiesen. Gemäß einer Studie der Bertelsmann-Stiftung steigt mit jedem Kind das Armutsrisiko.
  2. Es ist zu begrüßen, dass Studien zur psychischen Situation von Frauen* in Auftrag gegeben werden. Allerdings existieren bereits viele Studien zum sogenannten ‚Post-Abortion-Syndome‘ – und viele erklären, dass es dieses Syndrom nicht gibt sondern dass es den meisten Frauen* nach einem Abbruch besser geht (Überblick z.B. hier:Matlin, M. (2003). From menarche to menopause: misconceptions about women’s reproductive lives. Psychology Science, 45(2), 106-122. ). Natürlich lohnt es sich sicherlich dennoch, nochmal zu überprüfen, ob dem tatsächlich so ist. Wenn es um die psychische Situation von Frauen* und Reproduktion geht, sollte es aber auch Studien zu mindestens ebenso wichtigen Themen geben: z.B. zur psychischen Situation von Frauen*, die eine ungewollte Schwangerschaft ausgetragen haben. Oder zur psychischen Situation von Alleinerziehenden. Zu Müttern allgemein erschien bereits eine Studie, die Mareice Kaiser in ihrem tollen Text zum ‚Unwohlsein der modernen Mutter‘ zitiert: In den sieben Jahren nach der Geburt eines Kindes verschlechtert sich das mentale Wohlbefinden von einem Drittel aller Mütter deutlich.

Der Paragraph 219a gehört abgeschafft. Der Paragraph 218 auch. Und wenn es wirklich darum gehen soll, die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen zu reduzieren: Der obige Vorschlag mit den 1500 Euro zusätzlich pro Monat wirkt da sehr sinnvoll, zumindest sinnvoller als ein Informationsverbot jemals sein könnte.

Zur mentalen Belastung

September 1, 2018
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An Kinderarzt-Termine denken, den Haushalt organisieren, Sich-Nahrungsmittel-Allergien-anderer-Kinder-merken, Elternsprechstunden-und-Schulprüfungen erinnern oder Geschenkideen-für-Kindergeburtstage-kaufen: Sorge-Arbeit hat auch eine kognitive Dimension, die sich „mental Load“ nennt.

Die französische Cartoonistin Emma hat ein Comic dazu gezeichnet, das relativ bekannt geworden ist. Es ist mittlerweile auf Englisch übersetzt und trägt den Titel „You should have asked.“

Das tolle DasNuf hat sich in zwei wichtigen Blogposts ebenfalls mit mentaler Arbeit beschäftigt. Sie gehen auf einen Vortrag zurück, die sie auf dem ‚Female Future Force Day‘ gehalten hat. Im ersten („Aufgaben richtig gerecht verteilen„) schlägt sie unter anderem eine Auflistung von Aufgaben vor:

Setzt euch in einem Kick-off zusammen und schreibt kleinstteilig auf, was alles gemacht wird. Dabei geht es erstmal ums Grundsätzliche – nicht um eine konkrete Planung. Einige meiner LeserInnen kennen die Liste schon:

Wer putzt das Klo?
Wer putzt die Fenster?
Wer wäscht die Wäsche?
Wer hängt sie auf?
Wer faltet sie?
Wer räumt sie in den Schrank?
Wer bügelt?
Wer steht am Wochenende mit den Kindern auf?
Wer überzieht die Betten?
Wer macht die Einkaufsliste?
Wer plant was gegessen wird?
Wer gießt die Blumen?
Wer näht kaputte Kleidungsstücke?
2016 habe ich eine solche Liste erstellt und es empörten sich v.a. Männer, dass ich elementare Aufgaben vergessen hatte. So z.B.
Wer bringt das Auto zum TÜV?
Wer programmiert den neuen Fernseher?
Wer repariert das Fahrrad?
Wer tauscht die Batterien im Feuermelder?
Wer macht die Steuererklärung?
Wer recherchiert, ob der Mobilfunkvertrag noch zeitgemäß ist?
Stimmt. Ich hatte kaum Aufgaben dieser Art in der Liste. Beim näheren Nachdenken fiel mir dann aber ein Detail auf: Wie oft fährt man eigentlich zum TÜV? Äh und wie oft wechselt man Windeln im Vergleich?
Also: Vergesst diese Punkte in eurer Bestandsaufnahme nicht. Dafür sitzt man ja zusammen. Schreibt alles auf!
(Ich muss leider etwas zwanghaft erwähnen: Bis auf den TÜV sind das Dinge, die ich auch mache. Ich hatte sie eben wegen der Seltenheit vergessen.)
Schreibt dann dahinter wie lange die einzelne Aufgabe dauert und wie oft man sie in der Woche macht (ihr könnt natürlich auch aufs Jahr rechnen oder eben Dinge, die nur alle 2 Jahre auftreten entsprechend runterrechnen. Wichtig ist es eine Relation von Aufwänden zu schaffen.)
Jetzt markiert wer was macht.
Gebt euch einen imaginären Stundenlohn und schreibt hinter Aufgaben und Aufwände eine Summe in Euro. Diese Summe rechnet ihr dann pro Person zusammen.
Im zweiten Blogpost, der sehr viel mehr als ein „Nachtrag“ ist, kommen einige gute Vorschläge, wie auf das Argument des ‚Erfahrungsmangels‘ (z.B. ‚Person xy macht immer diese Aufgabe, weil sie mehr Erfahrung hat und es schneller geht‘) reagiert werden kann:

Wenn ihr also irgendwann die Zeit findet eine Mental Load Bestandsaufnahme zu machen, dann identifiziert doch mal die Dinge, die ihr vielleicht sogar dauerhaft oder einen Zeitraum X abgeben wollt. Erst dann ist man vom Mental Load entlastet. Alles andere spart Arbeit, lässt aber die Verantwortung in der Regel bei einer Person.

Ich kann auch empfehlen am Erfahrungsmangel zu arbeiten. Lasst den Mann „häßliche“ Schuhe kaufen und recherchiert dafür welche fernsteuerbaren Rauchmelder im Moment die besten am Markt sind. Tauscht also auch mal Aufgaben. Dann lernt jeder Partner was und macht Erfahrungen, die oft sehr erleuchtend sind. So erscheint die Aufgabe „Mach einen U-Termin beim Kinderarzt aus“ lächerlich einfach, so lange man das noch nie gemacht hat. Wenn man dann aber vier Tage hintereinander, sieben mal am Tag während der Arbeitszeit versucht bei der Kinderarztpraxis überhaupt durchzukommen, naja, dann versteht man, was das für eine be****** Aufgabe ist.

Ein weiterer Vorteil vom Durchtauschen der Aufgaben: Ihr lebt euren Kindern nicht die gängigen Klischees vor. Wenn der Vater loszieht, um Geschenke für Kindergeburtstage zu kaufen und Stunden recherchiert, wie denn nun die Einschulungstorte aussehen soll, während die Mutter die Geräteupdates macht und sich überlegt wie man redundante Backups automatisiert, dann lernen die Kinder: Es hängt nicht an der Chromosomenausstattung wer welche Aufgabe übernimmt.

Gute Vorschläge, von denen wir mehr brauchen.

(Und wenn Ihr nach mehr sucht: Es gibt z.B. das Buch ‚Papa kann auch Stillen‚, in dem einige Anregungen zu einer gerechten Aufteilung von Sorgearbeit und dem ‚Mental Load‘ zu finden sind.)

 

Familia* Futura!

Juli 29, 2018
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Ein fantastisches Festival zu Utopien familiären Zusammenlebens findet im September in Dresden statt.  Einige Informationen zum Festival in den Worten der Veranstalter*innen:

FAMILIA*FUTURA ist ein Festival für Familien und Familienutopien. Es findet am Wochenende vom 14.-16.09.18 im riesa efau. Kulturforum Dresden und im Zentralwerk Dresden statt. Wir gründen ein temporäres soziokulturelles Zentrum und laden Familien, interessierte Bürger*innen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Initiativen zu einem kreativ ausgestalteten Dialog ein. Ziel ist es, gemeinsam neue Strategien des Zusammenlebens zu entwickeln, die Familien ökonomisch, sozial und emotional entlasten.

Zum Programm, das von einem Künstler*innen-Kollektiv mit dem schön klingenden Namen wilde pferde organisiert wird,  gehören Workshops, Lesungen, Diskussionen und Performances. Ausserdem gibt es eine Party, an der das Konzertkollektiv mit dem – ebenfalls schön klingenden Namen – Böse & Gemein beteiligt ist. Unter anderem tritt Sokee auf, die in diesem Video schon einmal ihre Gedanken zum Thema Familie teilt:

(Mehr interessante Videos von Beitragenden findet Ihr im Programm)

Das Festival wird die wichtigsten Punkte des Familien*lebens ins Zentrum stellen: Themen sind Reproduktion, Liebe & Sex, Lebensräume, Geschlechter-Vielfalt, Geschlechter-Solidarität, Familien-Vielfalt und Familien-Pflege.

Kämpfen (in Listen)

Juni 8, 2018
by

Es ist ruhig hier geworden. Es gab vieles, was dieses Blog zum verstummen brachte. Die Zumutungen der sogenannten Vereinbarkeit, der Job, der Alltag. Und es gab die AfD, den Aufstieg rechter Ideologien, die Hass-Mails, Trump, die Kampagnen des Anti-Genderismus, und all die bedrohlichen Realitäten, die mir vor 5 Jahren noch wie ein unrealistisches Katastrophenszenario erschienen wären. Und so verständlich Schweigen ist, so sehr kann es auch dazu führen, dass alles nur noch schlimmer wird.

Doch auch Reden führt vielleicht nicht immer ans Ziel. Das ständige Reden-Über, die immer währende Aufregung über jede gezielte Provokation der AfD, über jeden Tweet von Trump sichert den rechten Diskursen doch nur noch mehr Aufmerksamkeit und führt dann nur irgendwann zum Empörungs-Burnout. Manchmal fühlt es sich an, wie das Kaninchen, das auf die Schlange starrt. Deswegen dachte ich, es ist wichtig, raus aus der Defensive zu kommen. Und selbst wieder die Agenda zu setzen. Nun, als Beginn dieses hehren Vorhabens, mal wieder eine Liste. Für diejenigen Dinge, für die es sich lohnt zu kämpfen:

  • Abschaffung des § 218 (und natürlich, des § 219a gleich mit). Abtreibung ist in Deutschland illegal – und das ist falsch. Die Mädchenmannschaft hat einen ausführlichen und wichtigen Artikel dazu geschrieben, der absolut unterstützenswert ist. Und die Arbeit von Kristina Hänel ist es sowieso.
  • Eine Achtung des Rechtanspruchs auf Familiennachzugs für Geflüchtete. Dieser wurde seit 2016 für subsidiär Geschützte ausgesetzt. Familien gehören zusammen.
  • Abschaffung des Ehegattensplitting. Es ist unglaublich, wie lange es fundierte Kritik an diesem antiquierten Relikt gibt, und wie wenig sich ändert. Die jüngste fundierte  Kritik stammt von Eva Schulz – und so gut ihr Video ist, so sehr hoffe ich, dass es das letzte seiner Art sein muss.
  • Die Einführung der 30-Stunden-Woche für alle Beschäftigten. Nur so ist es halbwegs realistisch, dass Menschen genug Zeit für Erwerbs- und Sorgearbeit haben.
  • Die Berücksichtigung von trans*-Rechten bei Familienkonzepten und Definitionen von Elternschaft. Die Geschlechtsangleichung von Eltern muss auch rechtlich anerkannt werden, so dass diese sich dann (entgegen dem BGH-Urteil von 2018) auch juristisch als Vater* bzw. Mutter* bezeichnen können.
  • to be continued.

 

Call For Paper! Feminismus und Mutterschaft

April 4, 2017
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Diese Suche nach Texten zu Mutterschaft ist wichtig – und wurde hier leider viel zu spät veröffentlicht, und zwar, ähm, am Tag der Deadline (Mea Culpa!). Solltet Ihr  eventuell bereits einen passende Texte fertig haben, lohnt es die sicherlich, diesen dort hinzuschicken (muessig@tu-berlin.de). Und solltet Ihr tolle Textideen haben: es ist sicher keine schlechte Idee, eine Email mit Thema, Hinweis auf fuckermothersche Verpeilung und Bitte um Verlängerung der Deadline zu schicken!

Die Zentrale Frauenaufbetragte der Technischen Universität Berlin publiziert zweimal im Jahr das Magazin ‚news –  GENDER | POLITIK | UNIVERSITÄT‘, das sich an alle frauenpolitisch Interessierten der TU richtet.

Jede Ausgabe hat einen eigenen Schwerpunkt – die Ausgabe im Sommersemester 2017 wird sich mit Netzfeminismus auseinandersetzen. Sie soll sich damit beschäftigen, was genau unter Netzfeminismus zu verstehen ist, wie sich Öffentlichkeiten durch das Internet verändern, welche Perspektiven das für feministische Kämpfe bietet und welche Erfahrungen Feministinnen im Netz, z.B. durch Hate Speech, machen.

Wir würden sehr gerne einen Artikel abdrucken, der sich damit beschäftigt, inwiefern das Internet auch Raum für feministische und kritische Analysen von Mutterschaft bietet/erst geschaffen hat. Die Frage wäre, ob sich bestimmte Debatten – z.B. die Debatte um Regretting Motherhood – nur durch das Internet entfalten konnten. Weiter könnte sich der Artikel auch damit beschäftigen, ob Mutter*schaft in (netz-)feministischen Debatten zu wenig mitgedacht wird – weil, wie ihr schreibt, „all die schönen neuen Ansätze des Queer-Feminismus, der Pro-Sex-Bewegung und der Gender Studies eher auf junge beziehungsweise kinderlose Frauen und Individuen abzielen“. Die genaue Ausgestaltung des Artikels überlassen wir gerne der Autor*in.

Nun unsere Anfrage: Habt Ihr Interesse, einen solchen Artikel in der nächsten Ausgabe der news zu veröffentlichen? Der Der Artikel sollte circa 6.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) lang sein. Die Deadline wäre der 04. April 2016.

Nicht lustig

März 27, 2017
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Ein Vater beschrieb in der Nido, eine für ihn wertvolle Bonding-Erfahrung mit seiner  Tochter: gemeinsam lästerten sie über eine ‚Dicke‘. Seine Aussage bekam zu Recht viel Gegenwind, weil ‚Fat-Shaming‘ erstens nicht lustig ist und weil zweitens auch daraus resultierende Bonding-Erfahrungen wohl aus pädadogischer Sicht eher problematisch sind. Die zwei wichtigsten Artikel dazu: 1) Die tolle Rike Drust:

Ich kenn das selber, wie sich das anfühlt, als Kind gesagt zu bekommen, ganz schön „stramme Beine“ zu haben und für diese bestimmte Klamotte viel zu dick ist. Das ist nicht lustig und das kann Selbstbewusstsein und Mut und Zeit nehmen, in der Kinder sich andere, tolle Gedanken machen könnten.

Seinem Kind mit auf den Weg zu geben, dass es eine gute, bindungsfördernde Idee ist, sich auf angeblicher Unfehlbarkeiten Kosten anderer besser zu fühlen, finde ich nicht erstrebenswert. Deshalb heisst es bei uns Zuhause auch „Alle sind, wie sie sind, weil wir wir auch so sein wollen, wie wir sind“ und nicht HAHAHA, lass mal einen Text veröffentlichen, in dem über Dicke gelästert wird, wenn sich jemand aufregt, können wir ja immer noch eine Stellungnahme machen, in der steht, upsi, aber hey, wir sind nicht perfekt. A propos, lasst das nicht den Vater hören, dass ihr nicht perfekt seid, sonst setzt der sich wieder mit seiner Tochter zusammen und die zwei schmeissen die Bindungslästermaschine wieder an.

2) Das Missy Magazine:

Mich erinnerte das Verhalten des Autors an meine eigenen Eltern. Leider. (…) Die Bindung zwischen mir und meinen Eltern festigte das gemeinsame Lästern nicht, das Gegenteil war der Fall. Ehrlich gesagt nervte mich schon damals – da war ich vielleicht 10 oder 11 Jahre alt –, wie fies meine Eltern über Menschen sprachen, die sie überhaupt nicht kannten. Ich war zu diesem Zeitpunkt nämlich selbst von Mobbing in der Schule betroffen: Eine Gruppe Mädchen hatte mich als dumm und hässlich auserkoren und grenzte mich aus, auch mit fiesen Sprüchen über mein Aussehen. Ich war furchtbar unglücklich in dieser Zeit. Ich hatte den Eindruck, dass ich meinen Eltern nicht vertrauen konnte, dass auch sie zu denjenigen gehörten, die sich willkürlich aufgrund von Äußerlichkeiten über andere erheben.